Die Hasel β das sanfte Holz des stillen Wissens
Unsere TrΓ€ume schlafen nie.
Am Rande des hundertjΓ€hrigen Eichen- und Kiefernwaldes stehen sie in Reih und Glied β acht, neun, zehn β nicht ganz BΓ€ume, nicht ganz StrΓ€ucher. Sie sind grΓΆΓer als ich und haben viele StΓ€mme. Ihre mΓ€nnlichen BlΓΌten bereiten sich schon seit einigen Wochen auf die BestΓ€ubung der weiblichen BlΓΌten vor. Die weiblichen BlΓΌten sind noch ein wenig schΓΌchtern und entwickeln sich nur langsam. Und auch ihre BlΓ€tter kann man nur in ihren zarten Knospen erahnen.
Sie bilden die Grenze zwischen Wald und Wiesenmoor. Die HaselstrΓ€ucher sind die Verbindung zwischen den Welten, zwischen den LebensrΓ€umen. Der Wald hinter ihnen ist trocken, vielleicht sogar zu trocken fΓΌr diese Jahreszeit. Auch die Wiese vor ihnen macht auf den ersten Blick einen sehr trockenen Eindruck. Das Gras erscheint in einem winterlichen Gelb. Doch der tiefschwarze Boden ist angenehm feucht und kΓΌhl, als wΓΌrde er aus seinem tiefen Winterschlaf erwachen.



Es ist das erste Mal, dass ich das ZwiegesprΓ€ch mit einer Hasel suche, daher weiΓ ich nicht genau, wie ich es anstellen soll und wie sie, wenn ΓΌberhaupt, auf mich reagieren wird. Wird eine von Ihnen bereit sein, mit mir zu kommunizieren? Und was mache ich, wenn nicht? Ich bin aufgeregt und leicht eingeschΓΌchtert. Viele Gedanken schieΓen mir durch den Kopf. Ich hΓΆre eine Stimme in mir, die mir von Performance-Angst erzΓ€hlen will. Sie zweifelt an meiner Entscheidung und fragt, ob ich am richtigen Ort bin.
Es ist laut in meinem Kopf. Viel zu laut, um etwas geben und empfangen zu kΓΆnnen. Und so gebe ich mir Zeit, mit allen Sinnen anzukommen, denn tief in mir weiΓ ich, dass mein GesprΓ€ch mit der Hasel alles andere als eine Sache des Verstandes ist.
Ich atme tief ein und aus und aktiviere mit jedem Atemzug einen Sinn nach dem anderen: Es riecht nach frΓΌhlingshaftem Sumpf. Oh, diese frische Feuchtigkeit in der Luft, ich kann sie fast schmecken. Die Zitronenfalter fliegen vorbei, um mich zu begrΓΌΓen. Einer nach dem anderen tanzen sie vor mir, als wollten sie mir den Weg zeigen. Die Sonne wΓ€rmt meine Haut, und ich hΓΆre das Rascheln des trockenen Winterlaubs der Eichen im Wald.
Mit dem Erwachen meiner Sinne konnte ich spΓΌren, dass ich willkommen bin. Also nahm ich meinen Mut zusammen und ging zur ersten Hasel, um sie zu begrΓΌΓen und mich und meine Intention vorzustellen: βHallo, liebe Hasel, ich bin Kath. Ich besuche euch, um mit und von euch zu lernen. Hast du Lust, mit mir Zeit zu verbringen?"
Sie schweigt als Antwort.
Ich wende mich an die NΓ€chsten, und auch sie antworten mit Stille. Leichte Zweifel steigen wieder in mir auf. Die Stimme der Performance-Angst in meinem Kopf kommt erneut zu Wort β schlaumeierisch und schnippisch sagt sie: βTja, da bist du wohl doch nicht richtig hier. Vielleicht solltest du es mal mit der Eiche da hinten versuchen. Denk dran, du willst eine Geschichte abliefern."
Nein, ich mag den Ton dieser Stimme in mir nicht. Am liebsten mΓΆchte ich sie verscheuchen. Aber sie ist nun mal da und ein Teil von mir, weshalb ich sie aus tiefstem Herzen um Geduld bitte. Ich halte noch einmal inne, um zu atmen, um ganz in mir anzukommen und meine Sinne und mein Herz noch weiter zu ΓΆffnen.
Ich hΓΆre mich selbst sagen: βDu kannst das!β und βLiebe HaselstrΓ€ucher, bitte lasst mich nicht im Stich.β Damit ziehe ich weiter zur nΓ€chsten Hasel und stelle mich vor. Die Antwort war wieder Schweigen. Okay, zwei sind noch vor mir, die ich noch nicht begrΓΌΓt habe.
Beim nΓ€chsten GehΓΆlz hat die Stille eine andere QualitΓ€t. Ich spΓΌre eine unterschwellige, einladende WΓ€rme. Sie lΓ€sst mich wissen, dass ich am richtigen Ort bin, und ermutigt mich, auch die letzte Hasel zu begrΓΌΓen.
Als ich die Letzte erreichte, konnte ich klar sehen, warum ich sie treffen musste. Vor Erleichterung lachte ich FreudentrΓ€nen, denn die letzte Hasel hielt drei HaselnΓΌsse am Strauch fΓΌr mich bereit. Ich fΓΌhlte mich plΓΆtzlich wie im MΓ€rchen und wusste nicht, was ich zuerst fΓΌhlen oder denken sollte.
Ja, der Gedanke, meiner Angststimme alles unter die Nase reiben zu wollen, kam mir in den Sinn. Aber nein, diese Beziehung mΓΆchte ich nicht mit mir selbst (oder anderen) haben. Stattdessen frage ich mich, warum wir alles im Leben so verdammt ernst nehmen mΓΌssen. Es macht mich traurig, wie viel Freude und Lebenslust wir uns mit der Ernsthaftigkeit selbst rauben.
Und als Kind der DDR muss ich natΓΌrlich an das tschechische MΓ€rchen βDrei HaselnΓΌsse fΓΌr AschenbrΓΆdelβ denken. Ein absoluter Klassiker, der uns alle an Grimms Aschenputtel erinnert (mehr Infos zum MΓ€rchen auf der Seite der Defa-Stiftung).
Nein, meine Geschichte ist nicht die von AschenbrΓΆdel. DafΓΌr bin ich dankbar, denn ich wollte nie eine Prinzessin sein, und ich habe auch keine garstige Stiefmutter und Schwester, die mich tyrannisieren. Ganz im Gegenteil: Ich habe eine wunderbare Familie, die mich ΓΌber alles liebt und nur das Beste fΓΌr mich will.
Und dennoch fΓΌhle ich mich dank der drei HaselnΓΌsse wie im MΓ€rchen, in meinem ganz eigenen MΓ€rchen. Ein MΓ€rchen, das ich schreibe, und eines, das mich und mein Leben schreibt.
Ich bin dankbar, neugierig und voller Begeisterung auf alles, was mich in meinem ZwiegesprΓ€ch mit der Hasel erwartet. Und so lieΓ ich mich unter dem Baumbusch nieder, um zu verweilen.
Nur langsam kommen meine Gedanken und GefΓΌhle zur Ruhe.
In der Stille angekommen, spΓΌre ich wieder die warme, einladende Frequenz, die ich zuvor gespΓΌrt hatte. Die Stimme der Hasel ist wortlos und doch so reich an Botschaften!
Sie spricht in einer Frequenz, die ich noch nie auΓerhalb meines eigenen KΓΆrpers erlebt habe. Eine Frequenz, die ich nur von tief in mir kenne, und auch hier gerΓ€t dieses wohlige, wissende GefΓΌhl manchmal in Vergessenheit. Diese Stimme in mir, wie die der Hasel, ist sehr sanft und leise. Sie ist voller Γberzeugung, Wissen und tiefer Wahrheit. Sie drΓ€ngt sich nicht in den Vordergrund, sondern spricht mit Sanftheit direkt von der sakralen Quelle meiner inneren SchΓΆnheit. Sie ist die Stimme meiner Intuition.
Ja, die Hasel spricht zu mir in der gleichen Frequenz wie meine Intuition.
Ich dΓΆse weg in Wohlklang und Dankbarkeit. Alles um mich herum vergessend, sind βVertrau mir!β die letzten Schwingungen, an die ich mich erinnere, als ich durch das Tor, das Hasel fΓΌr mich geΓΆffnet hat, in eine mΓ€rchenhafte Traumwelt eintrete.
Wohlige WΓ€rme. Verspielte SchΓΆnheit. Allumfassende FΓΌrsorge. Alles war voller Einfachheit in dieser Traumwelt. Ich war der Lachs, der flussaufwΓ€rts schwamm, sich unterwegs an HaselnΓΌssen ergΓΆtzte, dem Fischotter ein herzliches DankeschΓΆn zu blubberte, da dieser bereits FrΓΌhstΓΌck hatte und ich so ein Weilchen mit dem MarienkΓ€fer reisen konnte. Wir beide genossen die Flecken auf unseren KΓΆrpern und bewunderten unsere Talente im Schwimmen und Fliegen. Wir sind eins mit unserer Umwelt.
Als ich die Augen wieder ΓΆffnete, wurde ich vom Rotmilan begrΓΌΓt, der eine unsichtbare Spirale in den blauen Himmel ΓΌber mir malte. Wieder bei Sinnen durchstrΓΆmte eine unermessliche WertschΓ€tzung fΓΌr den Reichtum des Lebens meinen ganzen KΓΆrper. Diese Energien schenkten mir die Gewissheit, dass nichts wichtiger ist als das Leben und die Liebe.
Selbst meine Angststimme konnte erfahren, was es bedeutet, all meinen Sinnen und meinem Herzen zu vertrauen. Und so wurde auch sie leichter in ihrer Frequenz und gab meinem Verstand genΓΌgend Freiraum, um das Leben noch mehr zu lieben.
Dankbar, mit offenem Herzen und Verstand, verlieΓ ich die HaselstrΓ€ucher, die nun alle in wohlwollender WΓ€rme strahlten.
Ich weiΓ, dass ich diese Erfahrung nur machen konnte, weil ich in der Lage war, die Ernsthaftigkeit und Schwere meiner Angststimme zu akzeptieren. Mehr noch, sie mit Gnade zu umarmen und sie als das zu sehen, was sie ist: eine erlernte Form des Selbstschutzes.
Unsere TrΓ€ume sind nicht etwas da drauΓen in der externen Welt. Sie sind ein Teil unseres Selbst. Sie flieΓen durch die Tiefen unserer inneren Welt β Tag und Nacht. Unsere TrΓ€ume schlafen nie. Um die kleinen und groΓen TrΓ€ume in ihrer ganzen SchΓΆnheit zu erleben, mΓΌssen wir bereit sein, all unsere Sinne und unser Herz zu ΓΆffnen.
Mit ihrer sanften Stille kann die Hasel uns helfen, den Weg in diese Offenheit zu finden.
Komm, lass uns leben.
Komm, lass uns lieben.
Von Herzen kreiert in dem Land, in dem ich geboren wurde, genannt MΓ€rkisch-Oderland - 50 km ΓΆstlich der Spree und etwa 30 km westlich der Oder. Ich wuchs auf und lebe heute wieder am Rande des wunderschΓΆnen Naturparks MΓ€rkische Schweiz. Ich erweise meinen Vorfahren und den Γltesten des Landes und der Wasserwege Respekt. Ich achte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.